In den Medien sieht man derzeit viele Bilder von Flüchtlingen an den Außengrenzen der Europäischen Union. Mit welchen Worten und Botschaften die aktuellen Ereignisse in der Türkei und der Küste von Lesbos politisch bewertet werden.
Nach dem einseitigen Aussetzen des Flüchtlingsabkommens mit der Türkei ist es leider wieder einmal soweit. Die (sozialen) Medien sind voll mit Bildern von den Außengrenzen der Europäischen Union. Es sind zum Teil jene „ hässlichen Bilder ohne die es nicht gehen wird“ (Sebastian Kurz in der Welt 2016) und solche, die einen dringenden Appell an ein Europa, das sich als Hort der Menschenwürde begreift und inszeniert verstanden werden müssen. Aber wie wird auf diese Bilder reagiert?
Die Ereignisse im deutsch-österreichischen Vergleich und thesenhaften Schnellcheck:
Beobachtung 1: Ein gleicher Tenor
Der Tenor ist auf beiden Seiten der Grenze ziemlich konsonant. Die Ereignisse von 2015, als die mitteleuropäischen Länder von den Flüchtlingen sehenden Auges völlig unerwartet überrascht worden sind, dürfte sich nicht mehr wiederholen. Das möchte so weit es scheint tatsächlich niemand, außer vielleicht manche, die ihr politisches Kleingeld gerade damit wechseln möchten, dass sich Ängste reaktivieren und misslingende politische Antworten gleicherweise gegeben werden.
Beobachtung 2: Vokabular ersetzt klare Positionen
Die Haltung zum Thema braucht erst gar keine ausformulierten Positionen, sondern wird schon durch das Vokabular mit dem man sich äußert, klar abgesteckt (und nicht selten auch gleich in einen Hashtag gegossen.) Entlang der Begriffsbildungen, die von Flüchtlingen, über Migranten, zu illegalen Migranten und schließlich dann von ziemlich weit rechts Invasoren sprechen, kann man bereits ableiten, wo ein Zwitscherer steht oder wohin man sich verirrt hat.
Auch was sich nicht wiederholen darf schlägt in dieselbe Kerbe:
* Für Friedrich Merz (auf Twitter unter dem Hashtag #Migration) etwa ist es der Kontrollverlust von 2015/16. Damit übernimmt er einen Kernbegriff der entschiedensten Merkel-Gegner aus der innerdeutschen Debatte und übt sich angesichts der Situation im Schattenboxen als Ausdruck seiner Rivalität mit der Kanzlerin, der er so gerne in Parteiführung und Kanzlerschaft nachfolgen möchte.
* Von seinem tatsächlichen Kontrahenten um den CDU-Vorsitz Norbert Röttgen wird etwa konsequent unter dem Begriff Flüchtlinge getwittert und neben der Abschottungsrhetorik, die sich vor allem auf die Grenzsicherung bezieht um Verständnis für die Lage der Türkei geworben.
* Was sich aus Sicht der österreichischen Spitzenpolitik nicht wiederholen darf ist das Durchwinken und Weiterwinken und illegale Migranten (wie man es nennt, zeigt wo man steht) bereits an der Außengrenze zu stoppen. Kein Durchwinken und kein Weiterwinken. Bis nach Österreich rein zumindest. Ob das auch gilt, falls es wieder vermehrt Ankünfte zu verzeichnen gilt, die man gerne umleiten würde, bleibt abzuwarten.
* Auch Werner Kogler ist auf Twitter: Er retweetet übrigens Norbert Röttgen, nicht Sebastian Kurz. Bei Pamela Rendi-Wagner auf Twitter kommt Griechenland bisher noch nicht vor, aber neben Corona und Kreisky-Jubiläum kann auch nicht für alles Zeit sein.
Beobachtung 3: Bilder sind nie neutral
Visualisierungen sind als kommunikatives Mittel wirkungsvoll, sie können einen Eindruck vermitteln, Empathie wecken oder auch Angst befördern: Bilder sind daher in einem Ringen um Deutungshoheit auch niemals neutral eingesetzt. Die aktuellen Bilder von Lesbos und anderswo in Griechenland knüpfen dabei einerseits an frühere Erfahrungen an (und wecken Assoziationen), verlangen andererseits aber auch nach neuen Deutungen und der Bewertung von Kontinuitäten, Wiederkehrendem und Neuerungen, können dafür auf Erfahrung zurückgreifen.
Die aktuelle Situation offenbart dabei einen interessanten Zugang der Meta-Bildkommunikation: es geht nicht nur um die Bilder und das darauf dargestellte, sondern auch um eine Diskreditierung, Entwertung und Widerlegung der Bilder, durch (vermeintliche) Hinweise, darauf, wie Bilder zustande kommen. Die einen wollen dann etwa zeigen, dass Bilder inszeniert sind, und weinende Kinder auf den Bildern bewusst vor Kameras geschoben und absichtlich zum Weinen gebracht werden. Die anderen versuchen die Hintergründe von Bildern aufzuzeigen und sie nicht so stehen zu lassen, wie sie verwendet werden. Am Ende bleiben die Bilder und Metabilder aber vor allem Mittel zum Zweck.
Beobachtung 4: Diskussion als Klientelbewirtschaftung
Mittel zum Zweck, das ist die ganze Twitter-Diskussion. Nur in wenigen Fällen wird auf die Menschen an den Grenzen eingegangen, deren Notlage zum „Spielball der Politik“ (Michael Reimon auf Twitter) geworden ist. Überwiegend wird das Thema als innenpolitische Herausforderung adressiert, für „uns“, nicht für „die“ – bei, wie oben gezeigt, bereits begrifflich einzementierten Positionen dient so ein Schaulaufen nicht wirklich zur Auseinandersetzung, sondern zur Klientelbewirtschaftung.
Subtil und effektiv schafft das Norbert Hofer: Er verweist nur auf Al Jazeera, das über offene Grenzen in der Türkei berichtet. Dieses Tröpfchen überträgt ein Stichwort und der Rest entlädt sich dann in alle Schärfe und ohne weiteres Zutun des FP-Chefs in den Reaktionen auf seinen Tweet. „Händewaschen, so wichtig!“ hört man dieser Tage ja oft.
Beobachtung 5: Zwei unterschiedliche Europa
Und Europa, möchte man fragen? Das kommt in zwei Varianten vor.
* In der einen Variante als der nicht genauer benannte Dritte, wohl ein politischer Akteur, oder das gar nicht mal so nennenswerte Anhängsel einer Außengrenze, die es dringend zu schützen gilt.
* In der zweiten Variante kommt ebenso die Außengrenze vor, als eine an der um die Menschenrechte und die Mitmenschlichkeit gerungen wird. Wenn man die beiden Varianten und wer sich an ihrer Kommunikation beteiligt vergleicht, dann könnte man allerdings meinen, dass es sich bei diesem und jenem Europa nicht um dasselbe Konstrukt und Konzept, sondern eher um eine zufällige Namensgleichheit handeln muss.