Das Ende der Koalition ändert die Kommunikation: Aus Harmonie wird Wahlkampfrhetorik. Dabei versuchen beide den Spagat: zwischen Lob der bisherigen Arbeit und der passenden Dosis Angriffigkeit. Und nutzen ihre jeweiligen Presseerklärungen als erste Bühne.
Manchmal geht es schnell: Schon während seiner ersten Stellungnahme nach der Video-Affäre rund um Heinz-Christian Strache wechselt Kanzler Sebastian Kurz am 18. Mai 2019 in den Wahlkampfmodus. Er fühle sich an die Methoden Tal Silbersteins erinnert, erklärt er. (Das wird er in den nächsten Tagen auch der deutschen Bild-Zeitung und der Kronen Zeitung erzählen.) Ihm sei es bei einigen FPÖ-Skandalen der letzten Monate schwer gefallen, alles “runterzuschlucken”, um die gute Regierungsarbeit fortsetzen zu können. Das erklärt er in einer Pressekonferenz, die er von Samstagnachmittag ins Hauptabendprogramm verschoben hat. Mit den Worten “genug ist genug” kündigt Kurz Neuwahlen an und bittet um die Stimmen der Wählerinnen und Wähler. Ansagen, wie es mit der Regierung weitergehen soll, bleibt er da noch schuldig.
Doch auch die FPÖ schafft den Wechsel in den Wahlkampf scheinbar mühelos: Wenig ist von der monatelang zelebrierten Harmonie zu sehen. Kurz nachdem Norbert Hofer zum neuen Parteichef gewählt wird, nimmt er noch im Auto ein Video für Facebook auf: Er spricht über die gute Regierungsarbeit, thematisiert die “Flüchtlingskrise 2015” und kritisiert dann die ÖVP. “Die ÖVP wollte mehr” und habe Kickls Rücktritt verlangt. Hofer fokussiert auch darauf, dass die Aufnahmen illegal entstanden seien – und somit Strache, Gudenus und die FPÖ Opfer seien. Auf den Facebook-Seiten der Partei wird parallel ein neues Bannerbild mit den Worten “Jetzt erst recht” hochgeladen. Auch Strache postet am 19. Mai 2019 auf seiner Facebook-Seite die Worte “Jetzt erst recht”. Was er damit meint, bleibt unklar. Kurz bezeichnet er in einem Posting als “nicht ehrlich und nicht glaubwürdig”. Ganz wichtig scheint der FPÖ zu sein, dass diese Attacken über das Ausland gespielt werden. Sowohl Strache, Vilimsky und Kickl erwähnen das mehrmals.
Erste Konfrontationen auf ATV und im Zentrum
Sonntag Abend treffen zum ersten Mal Vertreterinnen und Vertreter aller Parteien aufeinander. Auf ATV die Spitzenkandidatinnen und -kandidaten der EU-Wahl und “Im Zentrum” (ORF) die Vorsitzenden der Parlamentsfraktionen – bzw. im Fall von FPÖ und ÖVP deren Vertreter. In beiden Sendungen verbreiten die Noch-Regierungspartner ihre Sicht der Dinge: Die ÖVP spricht von fehlender Einsicht der FPÖ, was eine Aufklärung der Causa nicht möglich mache; die FPÖ von machtpolitischen Spielen.
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Wahlkampf vor Informationen
Am 20. Mai 2019 laden Hofer und Innenminister Herbert Kickl zur ersten Pressekonferenz mit dem neuen Parteiobmann – und zeigen, wie sie den Nationalratswahlkampf wohl anlegen werden. Hofer ist betont versöhnlich, Kickl attackiert. Hofer nutzt die TV-Sendezeit und erzählt minutenlang von seinem politischen Werdegang. Er nimmt also wieder seine Rolle aus der Präsidentschaftswahl 2016 ein: Er erzählt von seiner Familie und verspricht einen sauberen Wahlkampf ohne persönliche Angriffe. Er lobt sogar die Wochenzeitung Falter. Immer wieder erwähnt er die “gute Regierungsarbeit” und bedankt sich auch bei Gernot Blümel. Hofer und Blümel waren die Regierungskoordinatoren. Das Ende der Koalition sei laut Hofer die Entscheidung der ÖVP gewesen und nicht die der FPÖ. Das erwähnen alle FPÖ-Mitglieder immer wieder.
Im Anschluss spricht Herbert Kickl von einer “Machtbesoffenheit” innerhalb der ÖVP. Er sieht sich selbst und sein Team in der Opferrolle. Er habe seine Arbeit einfach zu gut gemacht und die ÖVP damit überrascht. Kickl versucht auch die Erzählung der ÖVP zu stören: Laut Kickl habe die ÖVP in Aussicht gestellt, die Koalition weiterzuführen, wenn Kickl das Ministerium wechsle. Das hieße: Die ÖVP hätte die Koalition nicht aufgrund der auf Video gebannten Aussagen von Strache und Gudenus aufgekündigt, sondern weil sie Innenressort wieder zurückhaben wolle.
Im Anschluss an die Pressekonferenz von Hofer und Kickl gibt auch Kanzler Kurz wieder eine Pressekonferenz. Doch auch hier informiert er nicht darüber, wie es mit der Regierung weitergeht. Stattdessen klingen die Töne mehr nach Wahlkampf im Hinblick auf die Europawahl am 26. Mai.: Kurz warnt vor einer europäischen Koalition der Sozialdemokraten mit den Kommunisten und positioniert die Volkspartei als Kraft der Mitte.
Journalistinnen und Journalisten dürfen bei diesen Erklärungen keine Fragen stellen. Stattdessen gibt der Bundeskanzler jedoch der deutschen BILD-Zeitung ein Interview. Tags darauf kritisiert der Presseclub Concordia in einer Erklärung, dass keine Fragen von Journalisten zugelassen sind. Bei der gemeinsamen Erklärung von Bundespräsident Van der Bellen mit Kurz in der Hofburg sind sie es dann.