Bei der Wiener Gemeinderatswahl 2020 wird es einen Rekord an Briefwahlkarten geben. Das hat große Auswirkungen auf den Wahltag, denn Sprengelergebnisse werden nicht so aussagekräftig sein wie bei den letzten Wahlen. Das stellt auch MeinungsforscherInnen vor Herausforderungen.
Die Wiener Gemeinderatswahl 2020 wird – das kann man jetzt schon sagen – eine Rekordzahl an Briefwahlkarten aufweisen. In Zeiten der Pandemie boomt die Distanzwahl. Der Kandidat der FPÖ Wien, Dominik Nepp, gab medienwirksam seine Briefwahlkarte direkt im Magistratischen Bezirksamt ab – 3 Wochen vor der Wahl. Das ist definitiv neu. Nicht nur die Stadt Wien wirbt offensiv für die Briefwahl, auch einige Parteien rufen dazu auf, jetzt schon die Stimme abzugeben.
Ein dramatischer Anstieg der Briefwahlkarten hat große Auswirkungen für den Wahltag: Sprengelergebnisse werden nämlich gleich nach Schließen der Wahllokale ausgezählt, die Briefwahlstimmen erst am Tag danach. Zudem werden Briefwahlergebnisse nicht mehr nachträglich dem Sprengel, sondern nur eine Ebene höher dem Bezirk bzw. Wahlkreis zugeordnet. Am Sonntag im Laufe des Abends kennt man also nur die Sprengelergebnisse.
Gleicher Ablauf aber weniger Aussagekraft
Normalerweise gibt es bei den Wiener Gemeinderats- und Bezirksvertretungswahlen Punkt 17 Uhr, wenn alle Wahllokale gleichzeitig schließen, zunächst eine Prognose des Wahlergebnisses auf Basis einer Umfrage. Erst, wenn nach und nach Sprengelergebnisse eintrudeln, kann eine klassische Hochrechnung auf Basis ausgezählter Stimmen erstellt werden. Diese Hochrechnung wird schon seit vielen Jahren durch eine Briefwahlprognose ergänzt, um schon bevor auch nur eine einzige Briefwahlstimme ausgezählt ist, eine möglichst gute Prognose des Gesamtergebnisses publizieren zu können.
Das ist diesmal vom Ablauf her zwar gleich, von der Aussagekraft aber anders zu bewerten. Wenn in den Sprengeln ein viel kleinerer Anteil der Stimmen abgegeben wird als bei der Wahl davor, sind Sprengelvergleiche schwierig. Beliebte grafische Darstellungen der Sprengelergebnisse könnten ein völlig verzerrtes Bild zeichnen. Die Briefwahlprognose ist deutlich schwieriger zu erstellen als sonst, weil man noch nicht weiß, welche Parteien in der Briefwahl besonders gut oder besonders schlecht abschneiden werden. Auf Erfahrungswerte aus früheren Wahlen kann man nur bedingt aufbauen.
Es könnte zum Beispiel sein, dass das Team Strache auf Basis der Sprengelwahlergebnisse die 5% Hürde für den Einzug in den Gemeinderat schaffen würden, auf Basis der Briefwahlprognose aber nicht. Genau wissen wird man das aber erst, wenn alle Briefwahlkarten ausgezählt sein werden.
Klare Information wichtiger denn je
Egal, wo Menschen sich über das Wahlergebnis informieren: Am Sonntag muss unbedingt deutlich erklärt werden, was man schon sicher weiß, und was noch geschätzt wird.
Es ist schon an einem normalen Wahlsonntag für den Zuseher oder die Leserin nicht immer ganz leicht zu unterscheiden, was aus einer Umfrage kommt, was aus einer Hochrechnung (auf Basis ausgezählter Sprengel), und was aus der Briefwahlkartenprognose. An diesem Wahlsonntag wird das nicht einfacher, aber umso wichtiger.
Was wäre daher wichtig am 11. Oktober:
- Eine klare Unterscheidung in der Berichterstattung, was Sprengel- und was Briefwahl betrifft.
Das betrifft nicht nur die Wahlergebnisse, sondern auch die Wahlbeteiligung! - Ein Verzicht auf die grafische Darstellung von Sprengelergebnissen.
Alle Ergebnisse, die die Briefwahl nicht berücksichtigen können, stellen nur die halbe Wahrheit dar. - Geduld bei SeherInnen und HörerInnen, aber auch bei AnalystInnen
Am Sonntag werden wir wahrscheinlich Vieles noch nicht mit Sicherheit wissen. Aber irgendwann gibt es ein Ergebnis, und das kann dann analysiert werden! - Verständnis für die schwierige Aufgabe, vor der Hochrechnung und Meinungsforschung stehen
Wir MeinungsforscherInnen müssen im Moment mit vielen Annahmen arbeiten, vielleicht irren wir uns. Vielleicht liegen wir richtig. Es ist unsere erste Pandemie, bitte haben Sie Verständnis.