Die ÖVP nutzt die Sondierungsgespräche, um über visuelles Framing eine Stimmung für etwaige Koalitionsgespräche aufzubereiten.
Sebastian Kurz ist Wahlgewinner und hat als solcher den Auftrag zur Regierungsbildung vom Bundespräsidenten erhalten. Der alte und wahrscheinlich neue Kanzler ist bekannt als Meister der Inszenierung. Die Gelegenheit der ersten Gespräche mit den anderen Parteichefs lässt Kurz nicht aus, um den Ton anzugeben – inhaltlicher, aber auch visueller Natur.
Bei einer Regierungsbildung geht es nicht nur darum, einen geeigneten Koalitionspartner zu finden, sondern sie ist ein staatstragender Akt. Ein Ritual, das nach jeder Wahl stattfindet.
Die Partnersuche wurde heuer besonders pompös inszeniert: Die ersten Gespräche werden im stattlichen Winterpalais in der Wiener Innenstadt abgehalten. 2017 traf man sich noch in den bodenständigen Räumen des Parlament-Ausweichquartiers, 2019 startet man prunkvoller. Der ÖVP-Chef Kurz lässt bereits die ersten Gespräche in einem Regierungsgebäude stattfinden und präsentiert sich damit in der Führungsrolle – dass man es hier mit dem nächsten Regierungschef zu tun hat, wird außer Frage gestellt.
Aber nicht immer läuft alles nach Plan: Diese Erzählung erhält nämlich gleich zu Beginn einen leichten Kratzer durch ein Foto und einen Tweet des Standard-Fotografen Matthias Cremer.

Etwas verloren sitzen hier zwei PolitikerInnen in einem viel zu großen Raum. Das Bild ist prädestiniert für Memes jeglicher Art, einige hat Kommunikationswissenschaftlerin Petra Bernhardt auf Twitter gesammelt.
Gestern habe ich zu meinen Studierenden im Seminar zu politischen Memes gesagt, dass uns das Material eher nicht ausgehen wird. Ich glaube, ich hatte recht pic.twitter.com/U74msoerXq
— Petra Bernhardt (@picturingpe) October 8, 2019
Ein Blick auf den Instagram-Kanal von Sebastian Kurz zeigt, wie das Setting eigentlich gedacht war.

Das Bild ist sehr schlicht und clean. Die EU- und Österreich-Fahnen hinter Sebastian Kurz sind der einzige Farbklecks in einem grau-weißen Szenario. Dass überhaupt Fahnen aufgestellt sind, zahlt in die Bilderzählung der Staatsgespräche ein: Es unterstreicht den Charakter des Gesprächstermins mit einem Staatschef, so als wäre man beim Premierminister eines Landes zu Gast.
Die GesprächspartnerInnen haben keinen Tisch, also auch quasi keine Möglichkeiten Notizen zu machen. Alles an dem Bild vermittelt, dass es sich um keine Verhandlungen, sondern nur kurze, schnelle Gespräche handelt. Durch die Stellung der Sessel schauen sich die PolitikerInnen nicht an, was wiederum zeigen soll, dass hier keine Konfrontation stattfindet. Das gesamte Setting vermittelt: Hier wird nicht stundenlang verhandelt, hier wird nur ausgelotet.
Ein Blick auf die Fotos der Gespräche mit allen ParteichefInnen zeigt, dass jede und jeder ParteivertreterIn anders inszeniert wird – und zwar durch die gewählte Bildsprache.
Bei Norbert Hofer schauen beide Politiker in die Kamera und lächeln. Man sieht den Anschnitt der Fotografen. Im Gegensatz zum Foto mit Pamela Rendi-Wagner wirkt das Setting etwas wärmer, was auch dadurch vermittelt wird, dass andere Personen zu sehen sind. Insgesamt zeigt es eher das Ende oder den Anfang eines netten Gesprächs – im Gegensatz zum vorherigen distanzierten Austausch.
Von der Runde mit Beate Meinl-Reisinger postet Kurz ein Foto, wo beide bereits stehen und immer noch im Gespräch vertieft sind. Die wirken so, als packten sie es an, als könnten sie nicht aufhören, miteinander zu reden. Das Stehen und die Hände am Kragen bei Sebastian Kurz zeigen uns Dynamik, vielleicht auch das Austauschen von Standpunkten im wahrsten Sinne des Wortes.
Auch der Chef der Grünen, Werner Kogler, darf stehen. Die Perspektive ist dabei noch näher als bei der Neos-Chefin. Die Fahnen sind dafür ins linke Eck gewandert, damit sie zu sehen sind, aber keinem aus dem Kopf wachsen. Die beiden Wahlgewinner schauen dabei ins rechte obere Eck und damit in die Zukunft. Sie halten Unterlagen in den Händen und zeigen uns ZuschauerInnen: „Wir sind bereit zu arbeiten. Legen wir los.“
Die Bildsprache kann man also tatsächlich kohärent von der weitesten Distanz bis zur relativen Nähe, parallel zur tatsächlichen Bereitschaft zu koalieren, lesen. Kann ein Zufall sein, muss aber nicht. Das Team rund um Sebastian Kurz weiß um die Macht der Bilder und setzt diese auch bewusst ein. Ein Instagram-Posting ist zwar noch kein Koalitionsvertrag, aber man will sicherheitshalber in allem, was man die nächsten Wochen tut, bereits eine Stimmung vermitteln. Ob diese Nähe auch inhaltlich gefunden werden kann, bleibt freilich offen.
Was die Aufgabe von Louis bei den Sondierungsgesprächen sein mochte, bleibt unseren kreativen Interpretationen überlassen. Aber Hauptsache: Dogcontent.
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