Die neue Bundeskanzlerin Brigitte Bierlein stellt sich und ihre Regierung dem Nationalrat vor. Dabei erklärt sie ihre Ansätze und ihre Erwartungen an den Nationalrat. Zwischen den Zeilen gibt es Kritik. Gut versteckt.
Bundeskanzlerin Brigitte Bierlein hat im Parlament ihre erste Ansprache gehalten: Ihre Themen sind der Dialog, Vertrauen und eine unaufgeregte Regierungsarbeit. Gleich zu Beginn spricht die Verfassungsjuristin über die hervorragend aufgesetzte österreichische Verfassung, die sich in dieser Situation bewährt habe. Eingeleitet hat Bierlein ihre Rede mit einem Zitat von Cicero.
“‘Nichts hält das Gemeinwesen besser zusammen als die Verlässlichkeit.’ Diese Worte des bekannten römischen Staatsmannes Cicero haben bis heute Bedeutung. Lassen sie mich das Zitat um den Begriff Vertrauen ergänzen. Für Verlässlichkeit stehen und um Vertrauen werben wir.”
Bierlein setzt auf Gemeinsames
Inhaltlich verweist Bierlein auf ihre Antrittsrede: Schon damals hat sie von der Bereitschaft zum Dialog gesprochen. In der Zwischenzeit habe sie viele Gespräche geführt und sie werde dies während ihrer ganzen Amtszeit so handhaben. Das Parlament ist für die Kanzlerin das Herzstück der Demokratie Österreichs:
“In diesem Hohen Haus schlägt das Herz der österreichischen Demokratie. Und meine sehr geehrten Damen und Herren: Dieses Herz schlägt lebendig und kräftig. Die durch den Nationalrat bestimmten Gesetze geben uns den Rahmen, um in Freiheit und Frieden zu leben und Probleme gemeinsam lösen zu können.”
Ihren Arbeitsauftrag fasst Bierlein anders auf als vorherige Regierungen. Sie wurde nicht gewählt und habe keine Wahlversprechen einzulösen. Vielmehr habe sie die Handlungsfähigkeit der Regierung zu garantieren – und sie werde auf tagespolitisches Kalkül verzichten.
“Wir haben kein Wahlprogramm abzuarbeiten. Wir haben keine Wahlversprechen einzulösen. Wir haben keine tagespolitischen Aktualitäten zu kommentieren. Sehr wohl aber haben wir die Aufgabe, Stabilität und Sicherheit für Menschen in diesem Land zu gewährleisten.”
Der Einwurf, keine tagespolitischen Aktualitäten kommentieren zu wollen, kann wohl als Reaktion auf die “missverstandenen” Kommunikationsleitlinien verstanden werden: Nach ihrem ersten Ministerrat wurde Bierlein mit dem Vorwurf der “message control” konfrontiert.
Bei Kritik sehr bedacht
“Unser Ziel ist ein lebenswertes, wirtschaftlich erfolgreiches, weltoffenes Österreich.”
Wie die Kanzlerin Kritik kommuniziert, zeigt sie beim Thema Wahltermin: Sie habe sich gemeinsam mit dem Bundespräsidenten einen früheren Termin gewünscht, respektiere aber die Entscheidung des Nationalrates. Auch in anderen Punkten wählt sie ihre Worte mit Bedacht. Statt Kritik gibt es Appelle: Das Parlament solle auf europäischer Ebene Einigkeit zeigen. Und im innenpolitischen Diskurs das Einende vor das Trennende stellen. Ganz nach dem Motto “genug gestritten.” Auch ihre Warnung vor Feindbildern kann als Mahnung gesehen werden.
“Wir sind von unterschiedlicher ethnischer Herkunft, wir haben verschiedene religiöse Überzeugungen, Geschlechter oder sexuelle Orientierungen. Ja, wir sind verschieden. Für mich als Frau, als langjährige Juristin und Richterin, gilt es bei all dieser Unterschiedlichkeit ein verbindliches Element zu beachten: nämlich die Menschlichkeit. Das Miteinander war und ist gute österreichische Tradition. Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten, Feindbilder gar nicht erst entstehen zu lassen, das Gemeinsame vor das Trennende zu stellen und Vorbild vor allem für die Jugend zu sein. Für unser Land. Für seine Menschen. Für unsere gemeinsame Zukunft.”