Heute vor drei Jahren: ATV hat die Kandidaten Van der Bellen und Hofer zum unmoderierten Duell gebeten. Wie einst Kreisky und Taus. Experte Thomas Hofer meint in einer ersten Analyse: “beide blamiert, Amt beschädigt”. ATV bekommt dafür eine Romy.
In einem TV-Experiment spielte der Sender ATV am 15. Mai 2016 das legendäre TV-Duell zwischen Bruno Kreisky und Josef Taus von 1975 nach. Alexander Van der Bellen und Norbert Hofer saßen einander ohne Moderation gegenüber. Und ohne Regeln. Während es 1975 noch einige Regeln gab – abwechselnd 4 Minuten Redezeit, ausgelostes erstes und letztes Wort – konnten die Kandidaten 2016 das Gespräch in 45 Minuten so gestalten, wie sie wollten. “Bei uns herrscht absolute Selbstregulation”, meinte ATV-Informationschef Alexander Millecker.
Eskalation programmiert
Die heißeste Phase der Diskussion fand nach rund 20 Minuten statt: Die Kandidaten fielen sich gegenseitig ins Wort und machten sich über den jeweils anderen lustig. Von Hofers Versprechen zu Beginn, dass sich beide gut benehmen würden, blieb wenig. Hofer brachte die vielen Unterstützungserklärungen für Van der Bellen in Spiel, framte sie als Befehle aus dem Ausland und hielt einen Artikel von unzensuriert über Rapper Nazar in die Kamera. Als Hofer den Grünen die Regierungsfähigkeit absprach, wusste sich Van der Bellen nicht mehr zu helfen: Er machte den Scheibenwischer.
Die Sprachforscherin Ruth Wodak, die das Duell für eine ATV-Dokumentation analysierte, hat die Geste Van der Bellens als “resignierend” beschrieben, während Medienmarktanalystin Maria Pernegger eine “rhetorische Schwäche” ausmachen konnte.
In diesem Ton ging es weiter. Als Van der Bellen Hofer ins Wort fiel, stellte dieser eine Flasche Wasser vor Van der Bellen und meinte “reden Sie mit der Flasche, weil die redet nicht zurück.” Darauf ging der spätere Bundespräsident gar nicht mehr ein.
NLP-Trainer Walter Ötsch zählte rund 20 persönliche Angriffe in Richtung Van der Bellen, während für Anneliese Rohrer die Flaschen-Aktion zum “Fremdschämen” war.
Im Vergleich mit Kreisky-Taus hätte der Unterschied nicht größer sein können. Das Duell von 1975 war von inhaltlichen Diskussionen geprägt, persönliche Angriffe gab es kaum. Bekannt ist Kreiskys Ausspruch “Herr Doktor, nicht mich schulmeistern”. Hofer spielte darauf an und nannte Van der Bellen “oberlehrerhaft”.
Kam nicht gut an
Medien straften den Auftritt der beiden tags darauf ab. Bei der Presse, dem Standard und auch im ORF fiel das Urteil negativ aus. Der Kurier schrieb gar von rhetorischem Freistilringen, während Österreich Van der Bellens Scheibenwischer-Geste thematisierte. In Deutschland schrieb die FAZ vom “Schlamm-Catchen” und der Spiegel betitelte das TV-Experiment mit “Zum fremdschämen”.
wer vorher nicht wusste, wen wählen... bleibt jetzt am 22. zuhause. werbung fürs präsidentenamt wars keine. schade. #meinewahl #bpw2016
— Saskia Jungnikl-Gossy (@sjungnikl) May 15, 2016
Heinz Fischer geht mir jetzt schon ab #meinewahl #bpw2016
— Michael Hillinger (@himi68) May 15, 2016
Finde gut, dass ATV es probiert hat. Aufschlussreich im Hinblick auf die Logik zeitgenössischer Politdebatten. Und ernüchternd... #meinewahl
— Petra Bernhardt (@picturingpe) May 15, 2016
die beiden senken gerade die wahlbeteiligung auf 20%. #meinewahl
— Schpangerl (@tschahnschpange) May 15, 2016
ATV legt drauf
Für den Sender hätte das Duell gar nicht besser laufen können. Die Berichterstattung war immens, das Duell war laut ATV die erfolgreichste Eigenproduktion der Sender-Geschichte. Sie wurde von bis zu 480.000 Menschen gesehen. ATV produzierte auch die Dokumentation “Bundespräsident: blamiert, beschädigt?”, in der Expertinnen und Experten die Diskussion und das Verhalten der Kandidaten analysierten.
In einer späteren ATV-Konfrontation – dieses Mal mit Moderator – zeigten Van der Bellen und Hofer wenig Verständnis für die herbe Kritik. Nachdem Van der Bellen aber meinte, dass nichts anderes zu erwarten war, nutzte Hofer die Gelegenheit und entschuldigte sich, sollte er seinen Kontrahenten zu hart attackiert haben.
Bei der Romy-Verleihung 2017 bekam die Konfrontation den Jury-Preis für “historischen Fernsehmoment” verliehen. Trotz des Erfolgs wiederholte ATV das TV-Experiment bei den kommenden Nationalratswahlen 2017 nicht.