Eine wirksam eingesetzte politische Aktion ist ein Garant für Aufmerksamkeit in den digitalen Medien.
Jedes Jahr hält Donald Trump wie jeder Präsident vor ihm eine Ansprache zur Lage der Nation in einer gemeinsamen Sitzung des Senats und des Repräsentantenhauses. Jedes Jahr dominieren danach weder die Inhalte seiner Rede, noch seine rhetorischen Fähigkeiten, sondern die Reaktionen der weiß gekleideten Frau im Hintergrund die öffentliche Debatte dazu.
Bereits letztes Jahr machte Nancy Pelosi, Demokratische Abgeordnete und Sprecherin des Repräsentantenhauses, Furore mit ihrer Reaktion auf die Rede des US-Präsidenten. Mit einem sehr sarkastisch wirkenden Applaus zog sie die Aufmerksamkeit auf sich. GIFs und Memes von Pelosis kleinem aber effektivem Akt des Widerspruchs verbreiteten sich im Internet und werden bis heute in WhatsApp-Chats, Twitter-Debatten und Facebook-Kommentaren genutzt. Sogar ein Instagram-Sticker wurde dazu gestaltet. Auch für die heurige „State of the Union adress“ hat sich Pelosi Internet-wirksam in Szene gesetzt – wenn auch weniger subtil als beim ersten Mal: Beim Schlussapplaus zerriss die Demokratin demonstrativ ihr Manuskript von Trump’s Rede. Wieder ging das Video schnell viral, als GIF war es binnen kürzester Zeit weit verbreitet.
Pelosis Reaktion auf Trumps "State of the Union adress" 2019 via Giphy.com.
Warum setzt die demokratische Sprecherin des Repräsentantenhauses schon zum zweiten Mal auf diese Strategie?
Einerseits zahlt die Debatte über ihre Reaktionen im Internet auf ihr Image ein. Es baut ihre Bekanntheit wesentlich stärker auf, als das jede politische Rede schaffen würde. Andererseits verleiht sie ihrem Image damit auch bestimmte Eigenschaften. Sie verkörpert den demokratischen Widerstand gegen einen Präsidenten, der zwar regelmäßig mit seinen Handlungen erstaunt, aber auch erstaunlich hohe Zustimmungswerte genießt. Sie positioniert sich damit als jene, die sich traut, sich gegen den Präsidenten zu stellen und das in seinem erfolgreichsten Kommunikationskanal – den Sozialen Medien. Dadurch verdrängt Pelosi ihn und stellt sich selber in den Vordergrund – und das zu einem Anlass, der sonst ausschließlich dem Präsidenten gehört.
Bereits letztes Jahr betitelte die CNN das Video zum Klatscher von Pelosi mit dem Titel „Nancy Pelosi’s clapback Steals Trump’s show“. Gelingen kann das deswegen, weil sie mit ihren Gesten einem politischen Inhalt (Widerstand gegen Trump) ein Bild bietet (sarkastisches Klatschen und Rede zerreißen). Gepaart mit ihrem Image als starke Gegnerin Trumps liefert sie damit der medialen Debatte zur „State of the Union“ ein Bild des Widerspruchs. Wo sonst die Inhalte der Rede im Vordergrund stünden, berichten die Medien jetzt vordergründig über die Kritik der DemokratInnen. Ihre Position direkt hinter Trump ist dafür natürlich außerordentlich prädestiniert, da sie dadurch automatisch Teil der medialen Berichterstattung über seine Rede wird.
Ohne Bild wäre dieser Spin wesentlich schwieriger: Eine inhaltliche Kritik der Opposition in Form einer politischen Kontrarede ist fixer Bestandteil auf der politischen Bühne ohne besonderen Neuigkeitswert. Das Zerreißen einer Rede während die Hälfte des Saals für Standing Ovations aufgestanden ist, muss berichtet werden. Außerdem verbreitet sich die Reaktion als GIF definitiv besser und auch außerhalb der politischen Blase, als der Videoschnitt der Kontrarede von Govenor Gretchen Whitmer aus Michigan.
Durch die bilddominierte Form der Kommunikation in den sozialen Medien kann es also durchaus erfolgsversprechend sein, sich als PolitikerIn einer Geste zu bedienen, die im Internet funktioniert. Viral wird diese dann, wenn sie nicht nur als Symbol für eine politische Debatte einsetzbar ist, sondern als GIF oder Meme universal funktioniert.
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Was es dafür braucht ist eine geeignete Geste und jemanden, der diese aufgreift und in die Formate eines GIFs oder Memes bringt (strategisch geplant oder dem Zufall überlassen).
In Österreich ist diese Form der politischen Kommunikation noch ausbaufähig. Ingrid Brodnig hat vor drei Jahren eine Sammlung politischer GIFs gestartet. Aber bislang ist das höchste der Gefühle in Österreich eine Schilder-Aktion während der Nationalratsdebatte. Das ist schade, denn eine wirksam eingesetzte politische Aktion ist ein Garant für Aufmerksamkeit in den digitalen Medien: die einen feiern es ab, die anderen verdammen es – jedenfalls wird darüber gesprochen.
Im Übrigen dürften auch die Republikaner in ihrer Reaktion auf Pelosi dazu gelernt haben: Präsident Trump retweete seinen Assistenten, der ein Video twitterte, in dem es durch einen neuen Schnitt so wirkt, als hätte Pelosi die Rede in dem Moment zerrissen, als Trump einen Kriegsveteranen ehrte.
It would be soooooo terrible if this video hits 10,000,000 views, as Nancy doesn’t want Americans to see how disgraceful she really is! pic.twitter.com/OWfTEiadpr
— Dan Scavino Jr.🇺🇸 (@Scavino45) February 10, 2020
Der Versuch von Pelosi dieses Video gelöscht zu bekommen, wurde von Facebook und Twitter abgelehnt.