Der Twitter-Account des langjährigen Sebastian-Kurz-Pressesprecher und dessen jetzigen Medienbeauftragten, Gerald Fleischmann, kritisiert den eigenen Kanzler. Der skurrile Tweet wirft viele Fragen auf. Die Neos haben eine parlamentarische Anfrage eingereicht.
“Was für eine peinliche Inszenierung! Warum muss der Kurz eine Konferenz zur AUA und zu Flugverkehr und Grenzkontrollen machen, was geht ihn das überhaupt an!? Lasst das Anschober machen! Da fühl ich mich wohler”, twittert der Account von Gerald Fleischmann am 7. März 2020.
Kurze Zeit später ist der (ja, der und nicht das) Tweet wieder gelöscht. Doch das Internet vergisst nicht. Ein Screenshot des Tweets macht die Runde und nachdem auch Armin Wolf den Screenshot getwittert hat, reagiert @GCFleischmann. “Es hat sich jemand einen schlechten Scherz erlaubt; wie sich jeder denken kann ist dieser Text nicht von mir”, schreibt er. Auf Nachfragen reagiert er nicht, eine Erklärung gibt es auch nicht.
Kurze Frage: Wie ist denn dieses Tweet zustande gekommen? pic.twitter.com/ZZdsx7KKAx
— Armin Wolf (@ArminWolf) March 7, 2020
Wenn der Medienbeauftragte des Kanzlers und langjährige Kommunikationsvertraute des Regierungschefs derartiges twittert, wirft genau das zentrale Fragen auf:
- Hat sich der langjährige Pressesprecher von Sebastian Kurz vertan und eine Direktnachricht unabsichtlich öffentlich gestellt?
(Damit hätte er seine persönliche Meinung über die Vorgänge offenbart.) - Hat er sich im Account geirrt und bedeutet das, dass der Medienbeauftragte des Kanzlers auch einen Account hat, der unter fremdem Namen läuft?
(Damit stellt sich die Frage nach dem Zweck.) - Oder wurde Fleischmann vielleicht gehackt?
(Dann stellt sich die Frage nach dem Zugangsmanagement und der IT-Sicherheitspolitik von Kommunikationsgeräten im Kanzleramt.)
Fragen, die gar nicht so banal und egal sind, wie sie vielleicht auf den ersten Blick klingen. Denn Informationspolitik ist eines der wichtigsten Instrumente der aktuellen Regierungspolitik – und von Politik generell.
Eine Antwort von Fleischmann gibt es auf die öffentlichen Fragen auf Twitter dazu noch nicht.
Deswegen hat die Nationalratsabgeordnete und Mediensprecherin der Neos, Henrike Brandstötter, zu dem Tweet eine parlamentarische Anfrage gestellt. Dabei geht es um Verantwortung, Verhaltensregeln und Sicherheit. Auch Thomas Drozda von der SPÖ hat eine parlamentarische Anfrage dazu gestellt.
Alles in allem sind es 34 Fragen, die Brandstötter und die Neos an den Bundeskanzler richten. Sie wollen wissen, wie die Vorschriften im Ministerium für Computer und Mobiltelefone ausschauen und wie sie gesichert werden müssen. Sie wollen auch wissen, wie viele Leute Zugang zu Fleischmanns Handy und Twitter-Account haben und wer den Tweet abgesetzt hat. Besonders interessant sind hier zwei Fragen:
- “Hat das Bundeskanzleramt Mitarbeiter_innen, die mit Twitter-Accounts von anderen (auch fiktiven – sog. Fake Accounts) Personen kommunizieren?”
- “Haben Sie in Ihrem Ministerium einen Social Media Code of Conduct, der etwa die Ausschilderung der beruflichen Funktion auf Social Media Kanälen vorsieht, wie dies in mehreren von den Parteien freiwillig abgeschlossenen Ehrenkodizes verankert ist?”
Brandstötter fragt hier nach Fake-Accounts, also nach anonymen Accounts oder Profilen unter falschem Namen. “Entweder ist dieser Tweet entstanden, weil außenstehende Personen einen Zugang zu dem Account hatten oder weil die Veröffentlichung durch einen anderen Account geplant war und das einfach schief gegangen ist”, erklärt Brandstötter gegenüber Politikmagazin.at und führt aus, wieso der Tweet von einem parlamentarischen Interesse ist. “Dieser Account gehört nun mal nicht Benjamin Blümchen, sondern dem Kanzlerbeauftragten für Medien und Leiter der Stabstelle Medien und jenem Mann der berühmt-berüchtigt ist für seine direkte Art der Kommunikation mit Redaktionen”, so die Neos-Mediensprecherin weiter.
False-Flag-Kommunikation oder Testballon?
Brandstötter vermutet, dass Fleischmann seine Accounts verwechselt hat und abtesten wollte, wie Leute reagieren. Den Tweet sieht sie als Testballon: “Ich vermute, dass es auch Test-Accounts gibt mit denen etwas in den Raum gestellt wird – in diesem Fall über den Gesundheitsminister, der einen super Job macht – und getestet wird, wie man an dem Image eines Ministers kratzen kann. Es könnte auch eine klassische False-Flag-Aktion gewesen sein, bei der man eine Botschaft gegen sich selbst verbreitet, um sich daran später abarbeiten zu können.“ Und sollte der Account von Gerald Fleischmann gehackt worden sein, dann ist es eine Frage der Sicherheit, weil Fleischmann obendrein den stellvertretenden Kabinettschef im Bundeskanzleramt gibt, so Brandstifter. Was genau davon zutrifft ist, will Brandstötter mit dieser Anfrage herausfinden.
Mehrere Social-Media-Verhaltensregeln für Parteien
Nach dem Silberstein-Skandal 2017 haben laut Netpeace-Webseite fünf Parteien mit Ausnahme der FPÖ das “Fairness- und Transparenz-Paket für Social Media” der Greenpeace-Initiative unterzeichnet. Der erste Punkt dieser Verhaltensregeln ist die “klare Kennzeichnung aller parteinahen Social-Media-Angebote”. Das gilt nicht nur für KandidatInnen, sondern auch für MitarbeiterInnen und beauftragte Personen, die Accounts für politische Kommunikation nutzen. Fleischmann ist nicht nur für Medienagenden des Landes zuständig, sondern laut der Tageszeitung „Die Presse“ auch für die Medienarbeit der ÖVP-MinisterInnen-Riege in der Bundesregierung. Er moderiert auch die Pressekonferenzen zum Thema Coronavirus. Damit würde er eigentlich unter diese Regelung fallen.
Zusätzlich zu diesem “Code of Conduct” gibt es auch den PR-Online-Kodex des PR-Ethik-Rats. Schon im Herbst 2016 – also vor der Silbersteinaffäre – wurden darin “Prinzipien der Kommunikationsethik” definiert. Einer der Punkte heißt “Die Rolle als Kommunikator und die Motivation offenlegen” und fordert KommunikatorInnen auf, “ausschließlich mit ihrer wahren Identität” aufzutreten. In einem anderen Punkt fordert der PR-Ethik-Rat klare Regeln für MitarbeiterInnen für deren Social-Media-Auftritte.
Unklarheit über Richtlinien im Bundeskanzleramt
Ob es im Bundeskanzleramt Richtlinien für den Umgang mit Social Media gibt, sei es das Regelwerk von Netpeace, der Kodex des PR-Ethik-Rats oder eine eigenständige Richtlinie, hat Politikmagazin.at in der Stabstelle Medien nachgefragt. Es “gibt interne Guidelines zum Umgang mit Social Media für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Bundeskanzleramts”, die “Teil des internen Kommunikationsleitfadens” sind. Darüber hinaus gebe es für MitarbeiterInnen die Möglichkeit bei der “zuständigen Abteilung” nachzufragen. Die Richtlinien hat das Bundeskanzleramt auf Anfrage bislang nicht übermittelt.