Politik funktioniert nicht mehr ohne bildlicher Inszenierung. Wo kein Bildmaterial, da keine Geschichte, wo keine Geschichte da kein Durchkommen in der reizüberfluteten Medienwelt. In den Hauptrollen in Zeiten der Coronakrise: Gesundheitsminister Rudi Anschober, in ständiger Begleitung von türkisen Minister_innen.
Am 11. März flatterte das Aviso für den Medientermin „Anschober, Nehammer und Tanner bei AGES Infoline zum Coronavirus“ am darauffolgenden Tag in die Mailboxen von Redakteur_innen und OTS-Mailabonennt_innen. Es ist jene Woche in Österreich, wo die ersten Einschränkungen des öffentlichen Lebens und die Vermeidung so vieler Sozialkontakte wie möglich verordnet werden. Außerdem herrscht die große Sorge: Kommen die Telefon-Hotlines mit dem erhöhten Aufkommen an Anfragen zum Coronavirus zurecht? Um sich davon selber einen Eindruck zu machen, braucht es 2020 einen Fototermin mit nicht einem, nicht zwei, sondern drei Mitgliedern der Bundesregierung. Wozu? Zum Mehlspeisen verteilen – oder doch für gute Bilder in den sozialen Medien?
Über 70.000 Österreicher*innen informieren sich bei #AGES-Infoline über #Coronavirus. Anrufer*nnen werden von #AGES @bmi_oe Bundesheer u. #TeamÖsterreich @roteskreuzat betreut. BM @rudi_anschober @karlnehammer & Klaudia Tanner zu Besuch bei Infoline #ZusammenhaltÖsterreich pic.twitter.com/uLXxu08uDO
— AGES (@agesnews) March 12, 2020
Es ist nämlich so: Seit Tagen läuft die Kommunikationsmaschine der Bundesregierung auf Hochtouren. Keine ZIB ohne Kanzler oder Regierungsmitglied, kein Ö1-Journal ohne Stimme aus der Regierung. Das vermittelt: wir sind gewappnet, wir haben alles im Griff, wir übernehmen Verantwortung und führen durch die Krise. Was dabei aber fehlt, sind oftmals die Bilder. Die fünfte Aufnahme einer Pressekonferenz aus dem Bundeskanzleramt mit Logo-Wand, Stehpulten und Fahnen ist nicht gerade attraktiver Medien-Inhalt. Daher muss ein themennaher Foto-Termin her. Nachdem ein Spitalsbesuch doch zu gewagt ist, hält letzte Woche die Infohotline her.
Im Einsatzstab haben wir über 100 Personen für die Call-Center ausgebildet. Vielen Dank an alle für ihren Einsatz 2/2 #coronavirus pic.twitter.com/9ADDbN9eg0
— Karl Nehammer (@karlnehammer) March 12, 2020
Wer sich auf OTS.at die Ankündigungen für Fototermine des Gesundheitsministers ansieht, bemerkt, dass dieser zumeist von zwei türkisen MinisterInnen flankiert wird. beim Zivildienstgipfel waren das Kanzler Kurz und Ministerin Köstinger, beim Welttag Sozialer Gerechtigkeit Ministerin Raab, bei der Jobbörse für Geflüchtete Ministerin Aschbacher. Zum Sozialpartnergipfel zur Coronakrise war das Verhältnis türkis zu grün vier zu zwei. Das legt den Eindruck nahe, dass die ÖVP die Beliebtheit des Gesundheitsministers, der während der Pandemie als Krisenmanager Punkte sammelt, eindämmen will – oder das Image der eigenen Minister_innen in dessen Scheinwerferlicht aufpolieren will. Dass hier einige Nervosität zu spüren ist, legte auch der Vorfall des Tweets von Kurz-Vertrauten Fleischmann nahe.
Aber zurück zur politischen Krisenkommunikation: Es begeben sich also drei MinisterInnen, plus Presseleute, plus ReferentInnen, plus VertreterInnen der AGES plus FotografInnen und Kameraleute plus RedakteurInnen zur medialen Inszenierung inklusive Mehlspeisen in eine der am meisten belasteten Einrichtungen in der Coronakrise.
Verbreitet werden die Bilder anschließend auf den Facebook, Twitter und Instagram Kanälen der Minister_innen. Aber solche Termine mit Bildmaterial sind nicht nur für Soziale Medien, sondern auch für klassische Medien gold wert. Zitat der Redakteurin im ORF-Beitrag: „Eine Jause vom Minister gibt es heute für die Mitarbeiter der AGES-Hotline. Zeit sie zu essen, haben sie nicht.“
An sich stellt sich daher schon die Frage, ob es sein muss, dass während einer Pandemie mit Einschränkungen des öffentlichen Lebens mindestens 25 Personen in einer der wichtigsten Service-Einrichtungen einen Medientermin absolvieren müssen. Der Bauch sagt nein, FotografInnen und Kameraleute sagen ja.