Der ORF sah sich mit Kritik konfrontiert, weil er politische Veranstaltungen ohne journalistische Einordnung übertragen hat. Warum er das tut, welche Kriterien es gibt und wie diese Livestreams zustande kommen.
“Seit wann ist die Verbreitung von Bierzeltpropaganda ein öffentlich-rechtlicher Auftrag?”, fragte Stefan Sengl öffentlich auf Twitter. Der PR-Experte und ehemaliger Wahlkampfberater von SPÖ-Parteichef Christian Kern kritisierte den ORF für seine Livestreams der Aschermittwochsreden von FPÖ und DAÖ (“Die Alternative für Österreich”). Auf Nachfrage betonte Sengl, dass er die Kritik als Staatsbürger und nicht als PR-Experte äußerte. Als Plädoyer, dass Aschermittwochsreden, wie die von SPÖ-Nationalratsabgeordneten Max Lercher, übertragen werden müssen, will es Sengl nicht verstanden wissen. Von Kommunikation versteht er trotzdem etwas. Und deshalb spricht Sengl auch einen aus seiner Sicht wichtigen Punkt an: “Der Inhalt wird als relevant legitimiert, wenn er vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk verbreitet wird.” Besonders problematisch sei die fehlende journalistische Einordnung einer Veranstaltung, in der es um die “Verunglimpfung politischer Mitbewerber” gehe und der “Informationsgehalt eher gering” sei. Dabei gehe es ums Prinzip und nicht darum, von wem eine Aschermittwochsrede gehalten wird. Eine Erklärung oder gar ein öffentlicher Kriterienkatalog, nach dem der ORF seine Livestreams auswählt, fehlt dem Kommunikationsexperten.
Der ORF meint zu der ganzen Sache, dass es sich bei unkommentierten Livestreams um ein Zusatzservice “ergänzend zur tagesaktuellen TV-Berichterstattung” handle. So sieht es zumindest Thomas Prantner, der stellvertretende Direktor für Technik, Online und neue Medien im ORF. Er bezeichnet diese Livestreams gegenüber Politikmagazin.at als “Additional Content” und nennt als Voraussetzung dafür “eine ausführliche Berichterstattung zum jeweiligen Thema im ORF”. Die muss es auch geben, denn das ORF-Gesetz erlaubt es dem Sender nicht Dinge nur online zur Verfügung zu stellen.
Was wird ein Livestream?
Wie entscheidet der ORF prinzipiell – und wer? – was als Livestream angeboten wird? Da bleibt Prantner oberflächlich: Die Auswahl erfolge “nach journalistischen Kriterien und den Grundsätzen der Objektivität, Meinungsvielfalt und Ausgewogenheit.” Allerdings schon das Beispiel Aschermittwochsreden stellt das infrage: Übertragen wurden nur FPÖ und DAÖ, die Rede des ehemaligen SPÖ-Bundesgeschäftsführers und jetzigen Nationalratsabgeordneten Max Lercher nicht.
Der ORF greift bei einigen Livestreams auf das Angebot der APA (Austria Press Agentur) zurück. So werden Veranstaltungen wie Pressekonferenzen “als Live-Content unkommentiert zur Verfügung gestellt”. Prantner nimmt auch zu den Aschermittwochsreden Stellung: Die Übertragung der DAÖ-Veranstaltung wird mit dem Klubstatus im Wiener Landtag gerechtfertigt. “DAÖ hat im Wiener Landtag Klubstatus und wurde daher im Sinne der Gleichbehandlung aller pol. (sic.) Parteien übertragen”, so Prantner. Und warum die SPÖ-Rede nicht übertragen wurde? Das hat wieder mit der APA zu tun: “Diese Veranstaltung hat die APA nicht als Livestream angeboten”. Wäre die APA dort gewesen, wäre der Livestream auf der ORF-TVthek gelaufen. Somit beeinflusst die APA bis zu einem gewissen Teil implizit, was der öffentlich-rechtliche Rundfunk anbietet.
Innerhalb des ORFs gibt es “zu solchen Fragen keine Debatten, sondern klare Richtlinien”, meint Prantner und bezieht sich auf die schon genannten journalistische Kriterien und den Grundsätzen der Objektivität, Meinungsvielfalt und Ausgewogenheit, ohne darauf näher einzugehen.