CDU-Politiker in Sachsen-Anhalt meinen, man müsse „das Soziale mit dem Nationalen versöhnen“. Nachdem die logische Empörungswelle wieder verebbt ist, hier sieben Beobachtungen zur Causa.
Das Thema hat zu früh gezündet, um allein als eine Nebenwirkung der unbotmäßigen Hitze im Juni dieses Jahres abgetan zu werden: Man müsse „das Soziale mit dem Nationalen versöhnen“, haben zwei höherrangige Politiker der CDU in Sachsen-Anhalt formuliert – in einem vermeintlich für den internen Diskussionsgebrauch bestimmten, neunseitigen Dokument. Unter dieser blumigen Formulierung wird die Option einer von der Obrigkeit der Bundespartei für undenkbar erklärten Koalitionszusammenarbeit mit der AFD angesprochen. Nachdem das Papier in die sozialen Medien durchgesickert und auf Facebook veröffentlicht worden ist, ist die dabei erwartbare Empörungswelle hochgekocht. Das Nationale und das Soziale zusammen: Das hatte man in Deutschland schon einmal und die Formulierung allein, so scheint es, kratzt am Kitt des Selbstverständnisses der deutschen Republik. Wie am Schorf einer immer noch nicht gänzlich verheilten Wunde. Nachdem die Aufregung nach der ersten Welle an Widersprüchen aus der eigenen Partei und von kritischer öffentlicher Kommentierung wieder etwas abgekühlt ist, sieben Beobachtungen aus dem akademischen Halbschatten:
1. Valentin schlägt Haas
Jetzt ist schon wieder was passiert, könnte man mit Wolf Haas sagen, aber treffender beschreibt es Karl Valentin: „Es ist alles schon gesagt, nur noch nicht von allen“. Das Nationale ist andernorts längst wieder mit dem Sozialen versöhnt auf Plakaten gemeinsam affichiert worden. Auch wenn es dort von einem einzelnen Lager für sich in Anspruch genommen wurde, diese Aussöhnung umgesetzt zu haben. Spätestens ab dem Wiener Wahlkampf 2005 positionierte sich die FPÖ als „soziale Heimatpartei“. Jahre später war zwar das „sozial“ von den Plakaten wieder verschwunden, aber das Soziale sollte noch immer den Angehörigen der eigenen Nation zuerst zukommen.
2. Österreich war einmal mehr die kleine Welt, in der die große Ihre Probe hält
Fehlgriffe, Empörungen und teils hilflose Strategien im Ringen der anderen Parteien und der Öffentlichkeit, einen Umgang mit der AFD zu finden, können an vielen Stellen als eine Zeitrafferversion von 30 Jahren desselben Ringens mit der FPÖ gelesen werden. Jedoch:
3. Nicht einmal in Deutschland ist die Zusammenführung der beiden Begriffe sonderlich originell...
…denn dort hat die dem Namen nach „Nationaldemokratische“, offen rechtsextreme NPD ebenfalls bereits soziale Heimatpartei sein wollen. Wie man dann allerdings als Politiker verwundert sein kann, dass eine Kombination von National-Sozial problematische Assoziationen wecken würde, bliebe tatsächlich verwunderlich.
4. Wer glaubt denn schon an Wunder?
Das Muster, inhaltliche Vorstöße zu unternehmen und zuverlässig wieder zurück zu rudern, kann als Element einer kommunikativen Strategie gesehen werden, die man in der Diskursforschung Mainstreaming oder Normalisierung nennt. Diskurse formen in der Gesellschaft Wissen, Meinungen und Einstellungen in öffentlichen Debatten und Praktiken unter ungleichen Beteiligungsvoraussetzungen. Sie handeln sie aus und setzen sie durch. Beim „Mainstreaming“, das für unterschiedlichste Randpositionen fruchtbar gemacht werden kann, geht es nun nicht automatisch darum, Zustimmung zu den jeweils vorgebrachten Positionen zu wecken. Sondern vielmehr um eine längerfristig angelegte Öffnung von Möglichkeitsräumen. Ist etwas erst einmal ausgesprochen – wenn auch mehrfach widerrufen –, so ist es als Denkoption in den Raum gestellt und kann wiederkehrend thematisiert werden, bis es irgendwann als normale Option salonfähig wird.
5. Der hohe symbolische Gehalt der gewählten Begriffe regt dabei nicht einfach nur auf...
…sondern lenkt auch ab. Denn viel weniger, als auf die problematische Paarung der Begriffe eingegangen wurde, sind diese selbst kritisch hinterfragt worden. Was wird denn hier wie als national verstanden und wer wie als sozial? Vor allem aber, warum bedarf es einer Versöhnung zwischen den Begriffen? Versöhnung ist für sich ein Begriff, der positiv besetzt ist – wird ein Konflikt geschlichtet, wer kann das schon schlecht finden? Es wird dadurch sprachlich aber ein Gegensatz aufgemacht zwischen dem Nationalen und dem Sozialen, obwohl der größte Teil sozialstaatlicher Zuwendungen nach wie vor im nationalen Bezugsrahmen verhandelt und vergeben wird. Auf solchem sprachlichen Grund gedeihen auch Slogans wie „unser Geld für unsere Leut“. Und die Annahme, dass es derzeit anders wäre. Wer das Bild von der Versöhnung übernimmt, unterstützt auch die Idee, dass es einen Konflikt gebe. Auch so geht Normalisierung.
6. Empörung sells
Das Spiel mit Empörung und Relativierung funktioniert auch in der neuesten Auflage nach bewährtem Muster. Und bei weitgehender Nachrangigkeit des konkreten Empörungsanlasses. Die reaktionsschnellen sozialen Medien fungieren als Brandbeschleuniger für eine hochkochende Erregung, aber auch als Durchlauferhitzer: Der Aufreger fließt schnell hindurch, zieht so weite Kreise und erhitzt sich weiter. Das konkrete Thema an sich fließt aber auch schnell wieder ab. Unversöhnlich sind und bleiben dabei in der Regel auch die jeweiligen Positionen der Debatte und ihrer ProtagonistInnen. Aber die eigene Haltung zu festigen, auch das ist eine wichtige Funktion der medialen Empörungsbewirtschaftung. Und keineswegs ist es die ominöse „Netzöffentlichkeit“ allein. Sie agiert in enger Verzahnung mit den etablierten publizistischen Medien und deren ganz eigener Anfälligkeit für Themen, die größtmögliche Resonanz und Eskalationspotential versprechen. Empörung ist und bleibt gut für das politische, aber auch für das mediale Geschäft.
7. Nothing else matters?
Die Erregungsaktivierung durch den Ausritt der beiden CDU-Politiker hat sich stark an dem national-sozialen Moment des neunseitigen Papiers erschöpft. Eine große Aufregung kann viele kleinere Zumutungen geschickt überdecken. Es geht dabei fast unter, was an denkwürdigen und debattierenswürdigen Zitaten darin noch geliefert worden ist. Und an welchen begrifflichen Schablonen sich die Autoren dabei bedient haben. Neben allerlei Gemeinplätzen gegen allerhand Mainstream (erwartbar: Medien und Meinung; überraschender: Wohlstand) liest man dort etwa auch: „Regierungen, die sich erfolgreich gegen die Flüchtlingsströme stellen, werden als Rechtspopulisten stigmatisiert“. Damit liefern sie unbeabsichtigt ein interessantes Stichwort. Populismus als Stigma? Populismus als Zuschreibung und Kampfbegriff? Dazu demnächst mehr an dieser Stelle. Wir stehen erst am Anfang eines heißen Sommers.