Einen Monat vor dem Wahltermin ist der Wahlkampf in Großbritannien in der heißen Phase. Ein Blick auf Facebook, Instagram und Co. zeigt, wie die Parteien ihre Strategien anlegen: angriffig, ungewöhnlich und fragwürdig.
Jeremy Corbyn und seine Labour Party waren 2017 im britischen Wahlkampf unangefochtene Nummer eins auf Facebook. Dem Account der Labour Party gelang es von 19. April bis zum 8. Juni 2017, 76 Prozent mehr Facebook-Follower dazuzugewinnen. Jeremy Corbyn schaffte 35 Prozent. Zum Vergleich: Theresa May lag bei knapp 22 und die Conservatives bei elf Prozent. Labour hatte den besten Social-Media-Wahlkampf mit den meisten Interaktionen und Followern. Matt Walsh von der Universität Northampton schreibt der Kampagne die Fähigkeit zu, vor allem junge WählerInnen zur Wahl motiviert und eine unvorteilhafte Medienlandschaft umschifft zu haben.
Zwei Jahre später hat sich die Ausgangslage verändert. Corbyns Gegner ist nicht mehr Theresa May, sondern Boris Johnson. May galt als nicht charismatisch genug, die Tories verzichteten 2017 auf einen Persönlichkeitswahlkampf und überließen das Feld Corbyn, so Walch. Auf den sozialen Plattformen hat Corbyn zwar immer noch die meisten Follower, die Tories haben aber aufgeholt. Und auch der Account von Nigel Farage schadet Corbyn mehr als Johnson. Nur auf Twitter habe der linke Flügel noch eine dominante Position, schreibt Walch in seiner Analyse.
Aktuelle Facebook-Kampagnen
Auf Facebook scheinen Labour und Corbyn eine Doppelstrategie aufzubauen: Der Partei-Account hat vom 11. bis 17. November 78.446 Pfund (91.584 Euro) investiert und ließ 186 Werbeeinschaltungen ausspielen. Jeremy Corbyns Account hat im selben Zeitraum 8.096 Pfund (9.452 Euro) ausgeben. Und während sich Labour auf inhaltliche Postings zu Gesundheit, Bildung und Brexit konzentriert, sind Corbyns neuere Werbepostings negative Campaign-Ads gegen Johnson und Tories.
Bei den Conservatives ist es andersrum: Auf Johnsons Account dreht sich alles um den konservativen Spitzenkandidaten. Und es ist der Partei-Account, der negativ kampagnisiert. Die Ads richten sich vor allem gegen Corbyn und die Labour Party. Dabei soll vor allem die Idee einer Steuererhöhung von 2.400 Pfund bei den UserInnen verankert werden, die drohe, sollte sich Corbyn durchsetzen. Aber die Tories probieren es auch mit skurrilen Ads.
Boriswave: Internetkultur, um junge Wähler anzusprechen
Mit einem Video im Vaporwave-Stil (eine Kombination aus Elektromusik und veralteter Animationen) gingen die Tories am 6. November 2019 auf Stimmenfang. Das 18-sekündige Video wurde auf Instagram und Facebook als Werbung geschaltet. Mit bis zu 8.000 Pfund (rund 9.360 Euro) war das Video eine der teuersten Ads der Partei in diesem Wahlkampf (bislang). Und mit 600.000 Impressions auch eine mit der größten Reichweite. Gesehen haben diese Werbung vor allem Männer zwischen 18 und 34 Jahren. Also diejenigen, die viel Zeit im Internet verbringen,Videos in dieser Machart kennen könnten – und gleichzeitig selten die Tories wählen.
Vaporwave kam 2013 auf und war vor allem um 2017 im Internet beliebt. Heutzutage wird der Stil vor allem von der US-rechtsextremen “Alt-right”-Bewegung und dem Messaging-Board 4chan verwendet. Aber auch vom demokratischen Präsidentschaftskandidaten Andrew Yang. Dem ist es mit solchen Videos gelungen. eine junge Online-Community aufzubauen, die sich “Yang Gang” nennt. Über das Internet konnte Yang so seine Bekanntheit ausbauen. Auch der britische Konservative Jacob Rees-Mogg wurde 2016 durch solche Videos bekannt. Rees-Mogg wurde von einigen jungen Aktivisten als Nachfolger von Theresa May gehandelt und sollte sie an der Parteispitze ablösen. Die Online-Kampagnen der Aktivisten und die Berichterstattung darüber führten dazu, dass Rees-Mogg öffentlich bekannt geben musste, den Vorsitz nicht übernehmen zu wollen.
Die Organisation “Who Targets Me?”, die politische Werbung auf sozialen Netzwerken verfolgt, analysiert:Die konservative Partei möchte junge, männliche Wähler über Optik, nicht Inhalt, erreichen. Damit soll auch eine Gegenbewegung zu Jeremy Corbyn, dem Chef der Labour Party, aufgebaut werden, der 2017 viele junge WählerInnen mobilisieren konnte.
Tories fragwürdig auf Twitter
In welche Richtung sich der Wahlkampf noch entwickeln kann, zeigen die jüngsten Aktivitäten der Tories: Während der TV-Konfrontation von Boris Johnson und Jeremy Corbyn am 19. November 2019 änderte der Twitter-Account der Tory-Presseabteilung den Namen auf factcheckUK und tauschte das Profilbild gegen ein weißes Häkchen auf violettem Hintergrund. Auf den ersten Blick wirkte der Account jetzt wie ein unabhängiger Factchecking-Account. Den Eindruck verstärkte, dass der Account als verifizierter Account gekennzeichnet ist. Im Lauf des Abends präsentierte die Partei dann “Fakten”, die Johnson helfen und Corbyn schaden sollten. Kritik an der Aktion gab es nicht nur vom politischen Gegner, sondern auch von Twitter selbst. Der hochrangige konservative Politiker Dominic Raab meinte dazu gegenüber BBC nur, dass das niemanden interessiere.
FACT: @jeremycorbyn has failed to say 9 times in #LeadersDebate what his position on Brexit actually is pic.twitter.com/yYid2WZyKA
— CCHQ Press (@CCHQPress) November 19, 2019
Damit nicht genug: Am 21. November 2019, während Jeremy Corbyn das neue Manifesto seiner Partei vorstellte, ging die Webseite labourmanifesto.co.uk online. Auf der Seite wird aber nicht das neue Manifesto präsentiert. Stattdessen stehen dort die Botschaften der Tories: “No Plan For Brexit”, “Higher Taxes” und “Two More Referendums”. Dazu ein Bild von einem ratlos dreinschauenden Jeremy Corbyn.
Die Seite ist klar als Webseite der Conservative Party ausgewiesen. Mehrere PolitikerInnen der Tories und der Presse-Account haben in Tweets auf die Seite verwiesen. Laut Guardian wurde sie auf Google als Anzeige geschaltet, wenn jemand nach “Labour” sucht.