Themeneröffnung – Beweisführung – Lösung: Sebastian Kurz hat mit seinen Aussagen zur Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft eine Debatte zur Justiz erst losgetreten – und dann das Thema an sich gezogen.
Was als “Angriff auf die WKStA” begonnen hat war am Ende “eine Lösung der Probleme im Justizbereich”. In wenigen Schritten ist es Bundeskanzler Sebastian Kurz gelungen das Thema Justiz für sich zu beanspruchen. Gleichzeitig gelang es ihm Kritik an seinen Aussagen abzufedern und in einen anderen Kontext zu setzen.
1. Themeneröffnung
In einem “Hintergrundgespräch” am 20. Jänner 2020 mit 40 JournalistInnen hat Sebastian Kurz das Thema “Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft” gesetzt. Die anwesenden JournalistInnen dürfen die Aussagen des Kanzlers nicht zitieren, durch Berichte des “Falter” wurden sie dennoch publik. Kurz soll von roten Netzwerken in der Staatsanwaltschaft gesprochen und die Ermittlungen der WKStA gegen ÖVP-Politiker in der Casinos-Causa kritisiert haben. Chefredakteur Florian Klenk vermutet einen Anpatzversuch des Kanzlers. Klenk schreibt auch, dass er nach dem Hintergrundgespräch Artikel im Kurier und einen Gastbeitrag im Trend gefunden habe, die den ÖVP-Spin über die WKStA repliziert haben sollen.
Ob Kurz damit gerechnet hat, dass Informationen aus einer so großen Gruppe nach außen dringen oder er den Spin im Hintergrund platzieren wollte, ist zu diesem Zeitpunkt Spekulation. Am Tag nach dem “Falter”-Artikel hat Kurz aber sofort auf die Berichterstattung und einen offenen Brief der „Vereinigung österreichischer Staatsanwältinnen und Staatsanwälte“ reagiert. Die hat ein persönliches Gespräch mit dem Bundeskanzler verlangt, „um Klarheit über das Geschehene und die damit verfolgten Motive“ zu bekommen. Der Bitte um ein Gespräch kam Kurz nur bedingt nach: statt zuzusagen hat er zu seinem eigenen “runden Tisch” am 10. Februar 2020 geladen (der schlussendlich zur „Aussprache“ uminterpretiert wurde). Das hat er “Causa WKStA” genannt. So entsteht bei Außenstehenden der Eindruck, dass es im Zusammenhang mit der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft eine “Causa” gibt, der sich der Kanzler annimmt – und nicht, dass der Kanzler mit seinen Aussagen der Auslöser war.
2. Beweisführung
Am Samstag vor dem “runden Tisch” hat die ÖVP Dokumente aus 1997 an Kurier und OE24 gespielt, die die Vorwürfe von Kurz (“Netzwerk roter Staatsanwälte”) untermauern sollten. Das wissen wir, weil es OE24-Online-Chefredakteur Richard Schmitt getwittert hat und es in der ersten Version des Artikels stand. Im Laufe des Tages wurde der Artikel aktualisiert und der Verweis auf “ÖVP-Kreise” wurde entfernt. ÖVP-Verfassungssprecher Wolfgang Gerstl zeigte sich in einer Presseaussendung über die Medienberichte “erschüttert”, Sebastian Kurz postete einen Screenshot eines Folgeartikels mit den Worten “ohne Worte” auf seinen Social-Media-Kanälen. Der frühere SPÖ-Justizsprecher Hannes Jarolim hat der ZiB 1 gegenüber, dass man damals überlegt habe, „wie man fortschrittliche, also SPÖ-nahe, Personen dazu animieren kann“ sich auch bei der Justiz zu bewerben. Jarolim nennt es zudem eine „Abwehrschlacht“ gegen die damalige ÖVP-Personalpolitik im Justizministerium.
Ohne Worte. https://t.co/nDyUBOftrg
— Sebastian Kurz (@sebastiankurz) February 9, 2020
In der Zwischenzeit hat sich der Fokus der Kommunikation geändert: Kurz spricht öffentlich nicht von der WKStA, sondern von der Justiz generell. Der Kanzler erwähnt die WKStA nur mehr als Beispiel für Fehler, wie die BVT-Hausdurchsuchung. Sie ist so nur noch ein Punkt von vielen. Für BeobachterInnen ist es dadurch schwieriger zu erfassen, wie die Debatte begonnen hat: mit dem Unmut des Kanzlers über Ermittlungen der WKStA gegen Ex-Finanzminister Löger, wie Chefredakteurin Martina Salomon in ihrem Newsletter vom 10. Februar 2020 bestätigt.
In der ORF-Sendung “Im Zentrum” diskutierte nicht Kurz, sondern Europaministerin Karoline Edtstadler. Politikberater Thomas Hofer nennt sie dem Standard gegenüber “Ausputzerin von Kurz”. Demnach soll Kurz als über den Dingen stehend inszeniert werden und deshalb müsse jemand anderes diskutieren. In der Vergangenheit sei das Gernot Blümel gewesen, diese Rolle übernimmt jetzt Kanzleramtsministerin Edtstadler.
Auch sie hat die Berichterstattung über einen Aktenvermerk aus 1997 als Beweis für “berechtigte und notwendige” Kritik zitiert und verwies mehrmals auf die Geschehnisse rund um das BVT. “Jetzt geht es darum das Vertrauen in die WKStA wiederherzustellen”, meinte Edtstadler einmal. An einer anderen Stelle meinte sie in einer Antwort an Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger, dass der Bundeskanzler die Diskussion zur Verbesserung der Justiz ja selbst angestoßen habe.
3. Lösung
Beim Treffen am 10. Februar 2020 suggerieren die Bilder in den Medien die Themenhoheit des Kanzlers. Kurz sitzt nicht wie alle anderen TeilnehmerInnen an einer der Seite des Tisches, sondern übernimmt den Vorsitz. Alma Zadić, die zuständige Justizministerin, sitzt neben ihm. Ihr gegenüber Karoline Edtstadler. Allein visuell suggeriert das Bild, dass es hier zwei zuständige Ministerinnen unter der Führung des Bundeskanzlers gibt.
Nach dem Gespräch präsentierte Kurz Maßnahmen zu einer Verbesserung der Situation in der Justiz. Die Schritte, auf die man sich geeinigt hat, sind so auch schon im Regierungsabkommen formuliert worden. Am gleichen Tag war Sebastian Kurz auf Puls 24 bei Corinna Milborn und in der ZiB2 bei Armin Wolf zu Gast und stellte die besprochenen Lösungen noch einmal vor. Gleichzeitig meinte Kurz auch, dass er im “Hintergrundgespräch” vom 20. Jänner 2020 nur jene Punkte kritisiert habe, für die es jetzt Lösungen geben würde.
Wer die Geschehnisse um diese Debatte nicht genau verfolgt hat, bekommt schnell den Eindruck, dass Sebastian Kurz eigenständig Probleme in der Justiz aufgezeigt und Lösungen präsentiert hat und dafür anfangs kritisiert wurde. Das ist ihm und seiner Partei mit einer scheinbar gezielten Fokusverschiebung, dem Platzieren einer Geschichte in einigen Medien und der Präsentation von schon vorher beschlossenen Schritten gelungen. Das Ergebnis: Eine Erzählung, in der der Kanzler persönlich die Probleme der Justiz gelöst hat.