Im Wahlkampf wird es letztlich um die Zukunft gehen. Und die Frage, wer denn die Republik am besten in die kommenden Jahre führen kann. Derzeit legen es die Parteien strategisch aber retro an.
Im Lager des schon heute als Wahlsieger gefeierten Sebastian Kurz sehnt man das Ende des Wahlkampfs seit Ausrufung der Neuwahlen herbei. Die Solidarisierungswelle nach dem Misstrauensantrag am 27. Mai war mutmaßlich schon der emotionale Höhepunkt der Kampagne. Ab sofort versucht man, ohne gröberen Sinkflug über die Ziellinie zu gleiten. Man wird zwar neue Schwerpunkte, etwa den Klimaschutz, mit Hilfe prominenter Unterstützer aus diesem Bereich bringen.
Für den Herbst aber ist eine über konkreten Themen schwebende Botschaftsmischung aus Bruno Kreisky (Lasst Kurz und sein Team arbeiten), Wolfgang Schüssel (Wer, wenn nicht er) und Erwin Pröll (Nur Klarheit durch Mehrheit schafft Sicherheit) zu erwarten. Von der Spielanlage wird man es wie Barack Obama bei seiner Wiederwahl 2012 anlegen: Da waren die ganz großen Hochgefühle der Anhängerschaft weitgehend verflogen, aber man wollte das Veränderungsnarrativ doch zu Ende erzählen (siehe Bill Clintons Convention-Rede oder Obamas eigenes, geniales Storytelling bei seiner „Car Keys Speech“).
Das zu erwartende Motto: Wer weiter die Veränderung will, nur ohne Skandale, der muss Kurz wählen. Bester Wahlkampfhelfer ist damals wie heute die bemitleidenswerte Aufstellung der Gegner.
Vorwärts in die Vergangenheit
Damit ist vor allem die SPÖ angesprochen. Sie will verständlicherweise vorwärts in die glorreiche Vergangenheit und eine linkpopulistische Antwort auf den zuletzt so erfolgreichen Rechtspopulismus finden. Am weitesten ist dabei Hans Peter Doskozil im Burgenland. Der überholte die mittlerweile implodierte türkis-blaue Regierung zwar beim Migrationsthema rechts. Aber die Vorstöße in Richtung eines 1.700-Euro-Netto-Mindestlohns und der Anstellung pflegender Angehöriger beim Land fielen in die Kategorie auffälliges Links-Wacheln.
Brachiale Kollektivierungs-Ansätze à la Kevin Kühnert wird sich die ängstlich wirkende Parteichefin Pamela Rendi-Wagner wohl nicht zumuten. Aber warum nicht Anleihe nehmen beim zwar verpönten, aber wählertechnisch halbwegs erfolgreichen Werner Faymann? Die Rede ist nicht vom personellen Rückgriff auf Christian Deutsch. Man könnte in der Löwelstraße aber versucht sein, die letzten Wahlkampfwochen Faymanns 2008 zu imitieren. Der 24. September dieses Jahres gilt heute zwar als abschreckendes Beispiel, wie man auf Regimentskosten Wahlkampf betreibt. Kurzfristig hatte Faymann mit seinem 5-Punkte-Plan aber durchaus Erfolg. Er brachte immerhin vier Punkte durch und ließ einen gewissen Wilhelm Molterer (ÖVP) alt aussehen.
Vom Schaf im Wolfspelz
Die FPÖ argumentiert an sich schon sehr zielgruppenadäquat in dem Sinn, dass früher alles besser war. Über den Sommer aber will man echte Vergangenheitsbewältigung betreiben. Damit ist weniger eine tiefgehende Debatte über den Historikerbericht zur Parteigeschichte gemeint. Aber wie sehr Sebastian Kurz die Freiheitlichen hinters Licht geführt hat, diesem Thema möchte man sich schon hingeben. Ist auch klar: Die Schnittmenge an Wählern, die sich grundsätzlich vorstellen können, ÖVP oder FPÖ zu wählen, war schon 2017 größer als eine halbe Million Menschen. Eine Rückholaktion, oder zumindest die Verhinderung weiterer Abflüsse, sind das Ziel.
Der Spitzenkandidat Norbert Hofer wird überhaupt gern in Erinnerungen schwelgen. 2016, da war tatsächlich noch einiges möglich. Die leicht nachdenklich-sentimentale Note des Neo-Parteichefs wird wohl ein stetiger Begleiter in den zahllosen TV-Debatten. Herbert Kickl ist vielleicht da und dort anderer Meinung (auch was die neue, Strache-bedingt säuerliche Geschmacksnote des koalitionären „Familienbonus plus“ angeht), aber Profi genug, um Unstimmigkeiten nicht in die Öffentlichkeit dringen zu lassen. Er wird das tun, was er (übrigens sehr humorvoll; Anm.: etwa bei den Werbespots zur letzten Nationalratswahl) schon 2017 getan hat: Nämlich vorm Schaf im Wolfspelz warnen, also vor der Neuen ÖVP in freiheitlicher Aufmachung.
Make the Greens great again
Und dann ist da schließlich die Gruppe der so genannten Kleinen: Die Grünen brauchen eigentlich nur den mutmaßlich sehr heißen Sommer genießen. Der thematische Konjunkturmotor brummt, und der Rückgriff auf Donald Trumps Narrativ (Make the Greens Great Again) verspricht einen echten Prozentregen. Zudem fällt das ewige taktische Wahlargument der SPÖ, wonach man grüne Stimmen für den Kampf an der Spitze dringend brauche, diesmal wohl flach. Nicht wirklich hoffnungsfroh sind die (inklusive Spitzenkandidatin) an sich sehr gut performenden Neos. Die Story von der neuen Partei kommt langsam in die Jahre, und wie schon 2017 fürchtet man sich vor hohen Wähler-Austauschraten.
Das ist allerdings eine Position, von der Peter Pilz nur träumen kann. Er hofft zwar auf die publikumsträchtigen TV-Debatten und einen ähnlichen Effekt wie ihn ebenda Jörg Haider (BZÖ) 2008 erzielen konnte:
Aber auch wenn die Grünen derzeit von ihrem Comeback, dem gefühlt eindrucksvollsten seit Lazarus, schwärmen, die echte Sensation wäre der Wiedereinzug der Liste Jetzt. Vielleicht geht sich da übrigens eine neuerliche Namensänderung aus: Aufgrund des zweifelsohne starken, früheren Aufdeckerimages des Parteigründers wäre die Bezeichnung „Liste Damals“ wohl treffender.